Was für’s Herz… Weihnachten. Teil 2.

Endlich sitze ich. Lang genug hat es ja gedauert. Platz 63 im Wagen 34 der Deutschen Bahn. Auch wenn es die Dame, rechts neben mir am Fenster nicht glauben mag – ich hab eine Reservierung. Nun sitzt sie da, eingepfercht zwischen all ihren Taschen, Thermoskannen, Vespertüten, Zeitschriften und… mir.

Im Bahnhof sagten sie etwas von 5 Minuten Verspätung. Auf dem Bahnsteig bei -5 Grad sagten sie etwas von weiteren 5 Minuten Verspätung. Insgesamt sieben mal, also 35 Minuten Verspätung bei inzwischen 30 Grad Körpertemperatur – diesmal ohne Bypass- OP.

Es sind zwar noch zwölf Tage bis Weihnachen, trotzdem habe ich Angst, nicht pünktlich zurück zu sein, wenn das hier mit der Bahn so weitergeht. Der Zug steht mehr als dass er fährt.

Das erinnert mich an die Weihnachtszeit vor zwei Jahren. Ich war geschäftlich unterwegs und der Abschluß war eine Weihnachtsfeier im verschneiten Thüringen.
Die Weihnachtsfeier war feuchtfröhlich und lustig, wie halt Weihnachtsfeiern so sind. Draußen verwandelte derweil der Winter die Welt in einen einzigen riesigen Schneehaufen. Als ich das Schneechaos am nächsten Morgen erblickte, dachte ich nur eins: jetzt aber los.
Zielstrebig stapfte ich, den Koffer im Arm Richtung Bahnhof. Dort angekommen, empfing mich eine seltsame Ruhe und Leere. Die Gleise waren so leer, wie die Monitore, auf denen normalerweise Informationen für Reisende flimmern. Nun ist Saalfeld nicht der Nabel der Welt, aber immerhin ist es ein ICE-Bahnhof. Normalerweise.

Ratlos stand ich am Bahnsteig als sich eine Gestalt aus dem Schneetreiben löste. Beim Näherkommen erkannte ich die Bahn-Uniform, welche sich über einen voluminösen Körper spannte.
„Junger Mann, wo darfs denn hingegen?“ fragte er mich mit ausgeprägtem sächsischen Dialekt.
„Nach Hause in den Süden“, entgegnete ich brav.
Da fing der Schaffner, Stationsvorsteher oder was auch immer, plötzlich zu lachen an: „Keine Chance! Nichts geht mehr!“ Sein Bauch wackelte noch immer vom Lachen.

Ich bin gestrandet… in Thüringen. Muss ich bis zum nächsten Frühjahr warten?

„Aber ich muss doch irgendwie heimkommen…“, flüsterte ich mit gesenktem Kopf vor mich hin.

Da hatte der Bedienstete Mitleid mit mir. Väterlich legte er seine Hand auf meine Schulter: „Kamerad – es gibt für Dich nur eine Möglichkeit… Versuch mit ner Regionalbahn in den Norden zu kommen. Von dort machste rüber in den Westen!“
So also funktioniert das. Ich bedankte mich bei meinem Kameraden und machte mich auf zu einem Abenteuer wie seinerzeit der Kurier des Zaren.
Und in der Tat – mithilfe diverser Regionalzüge gelang mir nach drei Stunden die Ankunft in Erfurt. Dort standen weitere Hunderte Flüchtlinge, bereit für den Weg nach Westen. Mithilfe eines ICE nach Fulda gelang auch dies. Dann ging die Fahrt weiter – eng zusammengepfercht erreichten wir schließlich Würzburg. Dort wurden wir auf verschiedene Züge aufgeteilt und ich war abends dann endlich Zuhause. Dreizehn Stunden dauerte meine Odysse. Die Weihnachtsfeier in diesem Jahr habe ich abgesagt.

Aber eigentlich wollte ich ja etwas anderes erzählen: Vor vielen Jahren, als ich noch in der Lehrzeit war, durfte ich zum ersten Mal bei einer Freundin und ihrer Familie Heilig Abend feiern.
Es war so um die Mittagszeit, als ich in der Straßenbahn zu ihr fuhr. Ich saß da also so und plötzlich erblickte ich meinen Ausbilder Herr A., aus der Firma. Er lachte mich an: „Ja Oliver, was machst denn Du hier?“
„Ich fahre zu ner Freundin und Sie?“
„Wir haben heute Abend Gäste. Ich muss in das Fischgeschäft unseren reservierten Karpfen holen. Schöne Weihnachten noch!“
Mit letzteren Gruß waren wir auch schon in der Innenstadt angekommen und er stieg aus.

Ich kann mich bis heute überhaupt nicht mehr an das Weihnachtsfest erinnern. Nur eines blieb hängen, der Heimweg. Spät abends, so nach 21 Uhr machte ich mich also auf die Rückfahrt. Die Straßen waren menschenleer, die Tram auch.
Nur ein Fahrgast stieg zu – mein Ausbilder. Ich weiß nicht mehr was mehr roch… der Karpfen in der Tüte oder die Alkoholfahne um ihn herum. Naja, es war halt ne Schnaps-Nikotin-Karpfen-Fahne.
Ich war verwundert dass er mich in dem angetrunkenen Zustand erkannte.
„Ja Oliver, was machst Du denn hier?“, lallte er mich, vom Glück der Weihnacht beseelt, an.
„Ich fahre nach Hause.“
„Das tu ich auch. Bei uns gibt es nämlich stinkenden Fisch. Muss mich beeilen. Wir bekommen um 18 Uhr Gäste und meine Alte muss noch kochen.“
„Äh… 18 Uhr ist aber längst vorbei…“
„Na und, komm ich halt ein bischen später. Fröhliche Weihnachten!“

Nun mag man sich fragen, was daran gut für’s Herz sein soll, warum in dieser Kategorie? Die Antwort liegt doch auf der Hand:
Die Gäste hatten sicher herzhaft Hunger, die Gattin von Herrn A. schlug sicher herzhaft zu und ich? Ich muss heute noch herzhaft darüber lachen.

So, mein Zug ist nun mit ner Stunde Verspätung unterwegs, dafür geht die Heizung nicht. Aber das Schreiben hält warm.

In diesem Sinne eine schöne Wochenmitte!

Augenzwinkernd,

Euer Oliver 2.0

Ein Kommentar zu “Was für’s Herz… Weihnachten. Teil 2.

Hinterlasse einen Kommentar