Der Franzose und ich. Am Gardasee, auf Goethes Spuren.

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Zuhause regnete es und ich dachte, ein bisschen Kultur schadet nie. So entschied ich mich kurzerhand, mit dem Franzosen an den Gardasee zu fahren – dort wo eins Goethe wandelte. Die Frage war nur, ob wir mit dem Auto fahren oder unser Wasserflugzeug nehmen. Nach kurzer Überlegung fiel mir ein, dass ich gar kein Wasserflugzeug habe, so also nur das Auto als Option übrig blieb. Ein Luftkissenboot müsste man haben. Dann könnte ich, so wie einst James Bond über den venezianischen Markusplatz jagte, selbst durch die Altstadtgassen von Lazise brettern. Hach was wäre das für eine Freude. Die deutschen Touristen würden uns freudig zuwinken.

Ich löschte das Kaminfeuer und verriegelte unsere Blockhütte. Dann setzten wir uns in den rostigen alten Chevy, die Bulldogge setzte sich wie immer auf den Beifahrersitz, und fuhren über die Berge gen Italien.
Nach nur ein paar Stunden Fahrt (ohne Zwischenfälle, aber mit jeweils sechs Tassen Espresso) standen wir dann schließlich an diesem wunderschönen See. Was für ein Gefühl, was für ein Anblick. Ohne den Franzosen anzublicken, sprach ich in euphorisch klingender Stimmlage zu ihm: „Genau hier, wo wir nun stehen, wandelte einst Goethe und beschrieb die unglaubliche Schönheit dieser Landschaft, die Kultur und die Menschen… Er hielt seine Erlebnisse in Tagebüchern fest“.
Der Hund erwiderte nichts. Ich hörte ihn nur etwas wie „Ich muss mal“ murmeln. Ich drehte mich nach ihm um und erblickte ihn just in dem Moment als er an einer Ecke sein Bein hob. Er starrte mich an und rief mir zu: „Genau hier pinkelte Goethe!“
„So ein Quatsch“ antwortete ich empört und entrüstet ob dieser Geschmacklosigkeit angesichts dieses ehrwürdigen Moments.
„Wieso Quatsch?“
„Na, weil er hier nicht pinkelte.“
„Aha, und woher willst das wissen?“
„Na warum sollte er hier hinpinkeln?“
„Musste er nie Wasser lassen?“
„Klar musste er das auch.“
„Du kannst es also nicht ausschließen, dass er hierher gepinkelt hat?“
Der Hund brachte mich zur Verzweiflung.
„Doch, das kann ich ausschließen, denn das da, wo Du stehst, ist ein Drahtzaun, den es damals noch nicht gab.“ Als Mensch hat man halt doch meist gute Argumente.
Er nickte einverstanden mit dem Kopf und trippelte weiter an eine grau lackierte Laterne: „Hier?“
„Nein, ist ne elektrische. Gab keinen Strom damals.“
Wieder tippelte er weiter an eine Mülltonne.
„Hier?“ Provokativ hob er sein Bein.
„Nein, auch nicht. Solche Mülltonnen gab es Siebzehnhundertnochwas nicht.“
Schließlich entdeckte er einen uralten Olivenbaum. Die braune Bulldogge marschierte schnurstracks auf diesen zu: „Aber hier!“
Ich schwieg.
„Na sag schon… könnte es sein dass Goethe hier Pipi gemacht hat?“ Seine Lefzen verzogen sich zu einem breiten, teuflischen Grinsen.
Ich schwieg weiterhin.
„Er hat also hierher gemacht, der Goethe?“
Zähneknirschend räumte ich ein: „Nein…, äh…Ja, es ist unwahrscheinlich, aber es…“ Ich musste den Satz nicht beenden. Mit einer gewissen Zufriedenheit strullerte der Franzose ehrfürchtig an den alten Olivenbaum.
Als er endlich fertig war, kam er freudig angewackelt: „Weißt Du was?“
„Was?“
„Euer Goethe, der wußte echt was Dolce Vita bedeutet!“
Wir besuchten noch viele Orte, an denen Goethe mal musste, bevor wir am Abend wieder über die Berge nach Hause in unsere Blockhütte fuhren.
Zuhause angekommen, überlegte ich, was Goethe wohl heutzutage über den Gardasee schreiben würde… Ich glaube, er würde es ähnlich festhalten. Der See hatte nichts von seiner Faszination verloren.
Der Bully war inzwischen eingeschlafen und irgendwie hatte er dabei den Gesichtsausdruck eines Dichter und Denker.

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Oliver 2.0

Beide Fotos: Copyright oliver 2.0

21 Kommentare zu „Der Franzose und ich. Am Gardasee, auf Goethes Spuren.

  1. Köstlich!!! You made my day. Ihr zwei seid schon ein tolles Team, der Franzose und Du. Wünsche Euch einen schönen Tag.

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  2. Mich hat gerade eine Welle hierher gespült. Und ich werde gleich mal weiter lesen. Will ich doch wissen, ob dein Leben immer so malerisch ist wie an dem beschriebenen Tag. Falls ja, dann mache ich was falsch. Aber bloggen bildet. Und was hindert mich daran mein Leben zu ändern?

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  3. Was für eine kulturelle Reise 😀 ! Herrlich!!! In Maderno/Toscolano war ich auch mal vor Jahren und fand es auch wunderschön. Ach ja, Zäune und elektr. Laternen gab’s da schon 😉 . Ganz tolle Erzählung und Fotos, Oliver, lG Anja.

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