Nur eine Kerze.

Die Adventszeit – Besinnung, Vorfreude… dies sind für mich die zentralen Botschaften für die Vorweihnachtszeit. Allerdings kommen eben diese Tage im Jahr alles andere als besinnlich daher. Deshalb habe ich diesen älteren Artikel von mir hervor gekramt und etwas umgeschrieben, der heutigen Zeit angepasst…

Die Vorweihnachtszeit ist wieder laut, schrill und grell beleuchtet. Nach der Pandemie und dem Strompreisschock funkelt es und glitzert allmählich wieder überall. Beleuchtungsorgien hier und da, manch Dorf strahlt heller als der New York Timesquare und so manches Reihenhaus macht dem Rotlichtmilieu Konkurrenz.

Ich gebe ja zu, bunte Lichter gefallen mir ebenfalls.

Deshalb gönne ich jedem seine Freude, und schliesslich erscheint zumindest der Wahnsinn, der einen umgibt in einem freundlicheren Licht. Viele Menschen haben diese Tage keinen Grund zur Freude – da ist jeder Versuch legitim diese Vorweihnachtszeit zu feiern – eben jeder auf seine Art und Weise.

Für mich ist die Adventszeit immer dafür da, ein Fazit des vergangenen Jahres zu ziehen: War ich gut zu meinem Herz? Wahrscheinlich…, denn ich lebe noch. Das allein ist für mich Grund genug, dankbar zu sein. Überhaupt ist Dankbarkeit etwas, was vor allem Herzinfarktpatienten zugeschrieben wird.

Warum ist das so? Weil man erst das Schlimme erfahren muss, um das Gute zu sehen? Weil man nachdenklicher ist? Oder ist es nicht so, dass gerade, die Menschen, die nachdenklich sind, sich Dinge zu Herzen nehmen… ein höheres Herzinfarktrisiko haben? Neueste Studien weisen darauf hin.

Und da man als Herzinfarktpatient nicht nur glücklich und dankbar sein darf, sondern aktiv, um eben einen weiteren Infarkt zu vermeiden, ging ich gestern Abend wieder mit meinem Hund Spike spazieren. Für die neuen Leser meines Blogs: Spike ist eine Französische Bulldogge. Im Frühjahr wird er 14 Jahre alt. 14! Ja, ein richtig alter Herr. Aber Schneespaziergänge findet er gut, wenn sie nicht zu lange dauern.

Gestern Abend ging ich also mit Spike spazieren. Ein Haus am Ortsrand lag völlig im Dunkeln. Kein Hausbeleuchtungsschmuck chinesischer Herkunft, kein elektrifiziertes Rentier samt Drahtschlitten im Garten und kein riesiger Plastiknikolaus mit ungesundem fettem Bierbauch, der von innen auch noch leuchtet.

Nein, in einem kleinen Fenster im oberen Stockwerk stand nur eine brennende Kerze. Eine einzige brennende Kerze…und doch strahlte sie ein unglaubliches Licht mit viel Wärme aus.

Das Licht dieser Kerze schreit nicht hinaus: „Seht her, hier bin ich!“.

Vermutlich gilt die brennende Kerze nur einer Person oder einem liebsten Tier, welches man vielleicht verloren hat.

Und das Licht flüstert leise in den dunklen Himmel: „Ich denke an Dich!“

Das ist Advent. Und es ist nur eine Kerze.

Nur meine Gedanken,

Oliver 2.0

26 Kommentare zu „Nur eine Kerze.

  1. Lieber Oliver, ich kann Deine Gefühle nachvollziehen. Mir gefallen Kerzen auch sehr gut. In mancherlei Situationen besser, als elektrische Beleuchtung. Momentan drehe ich jeden Abend draussen die Runde, um die 16 Kerzen anzuzünden, die um das Häuschen verteilt sind.
    Nur: auch bei mir wird in der letzten Adventswoche das Haus illuminiert – richtig kitschig in meinen Augen, in den Augen vieler anderer vermutlich immer noch recht dezent, da nicht farbig und nicht blinkend. Meine Beleuchterei (sowohl mit Kerzen als auch mit Lichterketten) hat jedoch nichts mit dem Glauben zu tun und nichts mit Herzeigen (hierhin verirrt sich in der Dunkelheit sowieso niemand), sondern nur damit, das ich Freude daran habe, weil es mir für eine kurze Zeit gut gefällt….und weil der Stromverbrauch mit den heutigen LED auch wirklich in einem vertretbaren Bereich liegt. 🙂
    Liebe Grüsse und eine besinnliche Adventszeit
    Charlotte

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  2. Habe neulich irgendwo gelesen, je kälter es wird in der Gesellschaft, je weniger das Miteinander, je mehr das Gegeneinander, desto mehr die Blinkelämpchen in der Weihnachtszeit. Vielleicht sind sie ein Indikator dafür, wie es wirklich um uns steht.

    Deine Gedanken gefallen mir.

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  3. Hm … jetzt hab ich von Deinen letzten Sätzen eine Gänsehaut. Wenn ich mich hier zuhause umschaue, ist es ein reduziertes Miteinander von Kerzen und zwei Weihnachtssternen. Generell bin ich mit sowas sehr sparsam. Es berührt mich mehr als Riesengedöns um und auf und im Haus. Aber … jeder wie er mag. 😉 Da hast Du recht.

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  4. Ich schließe mich Samate an.
    Ich glaube, dass die innere Leere mit den blinkenden Lichtern überstrahlt werden soll.
    Ich gebe zu, auch ich habe über meinem Balkongeländer ein Lichternetz, das leuchtet und mir beim Heimkommen in der Dunkelheit tröstlich Licht spendet … und dennoch, nichts geht über die Kerze in der Laterne oder das stille Flackern der Adventkerzen.

    Liebe Grüße an dich und den Franzosen!
    Patentsocke

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  5. Wir verzichten auch gerne auf die Außenwerbung um von unserer Unterbelichtung abzulenken und haben sogar am Tannenbaum echte Kerzen. Das wärmt!!! LG

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  6. Bei uns hier wird jährlich was ausgelobt für der Stadt am „schönsten“ geschmücktes Haus. Der einsamen Kerze gebührte der Preis, aber es ist selbstverständlich immer ein Haus wie das im Film „Oh, du fröhliche“ mit Chevy Chase. Dann bleibt der Puff stehen bis ins jeweils neue Jahr. Scheint keiner drin zu wohnen. Im Film geht wenigstens zwischendurch die Klärgrube hoch…

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  7. “Seht her! Ich bin der Illuminator!” Oder “Meiner leuchtet mehr als Deiner!”

    Nun, ich denke, diese Erklärung ist nur ein kleiner Teil der Erklärung. Vielmehr sehe ich den Anspruch, mit zu machen, dabei zu sein. „Das machen doch alle! Dann mache ich das auch!“ Hier scheinen alle nach einem tieferen Sinn zu suchen. Warum? Glaubt Ihr alle denn wirklich noch, dass alle, die mit machen, den background mitbringen, einen Sinn umzusetzen?

    Heute feiern wir in Deutschland ja auch „Hällowien“. Wir kaufen wie die Bekloppten Kürbisse, höhlen sie aus, stellen Kerzen rein, wir verkleiden uns und machen auf „Gruselparty“! Warum? Weil alle es machen.

    Und in 6 Monaten schmücken wir unsere Autos wieder mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen, schminken uns im Gesicht, auf den Armen und sonst wo mir diesen Farben, wir gehen zum „public viewing“ (bedeutet in Amerika so viel wie öffentliche Leichenschau) und freuen uns, wenn die anderen sich auch freuen, weil die Regeln dieses Spiels verstehen wir gröstenteils ja gar nicht. Warum machen wir das? Weil alle mit machen.

    All diese Verhaltensweisen sind nichts anderes als Symptome der Degeneration des Einzelcharakters, Symptome der Abkehr vom Individuum.

    Nicht umsonst bleibt es immer bei dem Grundsatz, das nur derjenige zur Quelle findet, der gegen den Strom schwimmt. Und damit wären wir wieder bei der einzelnen Kerze, bei der einsamen warmen und ruhigen Flamme. Ist das Feuer doch auch irgendwie eine Quelle der Ruhe, der Andacht, des Ursprungs.

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  8. Bei mir hält sich weihnachtliche Dekoration sehr in Grenzen. Kein Geblinke, kein Glitzer, kein Lichterfeuerwerk! Es gibt einen ca. 40 cm hohen künstlichen Christbaum mit 10 kleinen LEDs, ganz ohne weiteren Schmuck. Der darf am Bücherregal neben einen der Katzenbettchen am Fenster stehen und abends etwas vorweihnachtliche Stimmung verbreiten.
    Schon hat es sich erklärt, warum Dekoration bei mir sehr reduziert ist. Hier leben zwei Katzen, nicht mehr ganz jung, aber dennoch zu einer Schandtat bereit sind, wenn etwas Neues ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Bäumchen ist uninteressant und geduldet. So gehe ich auf Nummer Sicher.
    Eine echte Kerze zünde ich dennoch heute am 8.12. (unter Aufsicht) an. Vier Jahre sind es nun, dass meine Mutter völlig unerwartet und plötzlich verstarb. Schon so lange und dennoch als wäre es gestern gewesen…
    Ich wünsche dir und deinen Lieben einen schönen Advent mit Zeit für Besinnlichkeit!

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