Und über mir der blaue Himmel. Eine Fiktion (Teil 1).

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Einst lief ich nach dem Regen über die Felder. Ich warf meine Schuhe weg und schleuderte meine Socken weit von mir. Der Anblick des Himmels überwältigte mich. Es war ein Gemälde… größer als je ein Mensch malen könnte. Diese Kraft, diese Wildheit, sie ließ mich ganz klein werden. Urplötzlich hatte ich das Gefühl, mich dem ganzen Universum ergeben zu müssen. Nein, hingeben wollte ich mich ihm. Mein Geist sollte ganz ihm gehören. Der Himmel – das war mein Ziel.

Wie ein Kind legte ich mich rücklings auf eine große Wiese und blickte blinzelnd hinauf in diese unglaubliche Weite. Das kurzwellige Licht brach sich zu einem satten Blau in der Atmosphäre. Wolken zogen vorüber und malten Bilder auf diesen scheinbar unendlichen Hintergrund. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, was sich hinter dieser Staffelei verbarg… Sterne, Planeten und das riesige Universum. Vielleicht lag just in diesem Moment ebenfalls jemand wie ich auf einer frisch gemähten Wiese und blickte zu mir herab oder hinauf? Wer weiß das schon.

Während ich so vor mich hinträumte, begann mein Rücken zu kribbeln. Gar so als wären tausend Ameisen unter mir zugange. Ich räkelte mich auf der Erde und bemerkte ein Ziehen und Drücken unter mir. Es wurde unangenehm. Da es eh schon langsam dämmerte, beschloß ich, meine Träumerei als beendet und wollte den Heimweg antreten. Immerhin war es noch gut eine Stunde zu Fuß gewesen.

Ich wollte aufstehen als mich plötzlich ein stechender Schmerz in der Wirbelsäule jäh in den Boden drückte. Etwas hielt mich auf der Erde fest. Ich konnte meinen Körper nicht anheben. Selbst die Beine waren wie festgenagelt. Etwas zog mich tiefer in die Erde hinein, je mehr ich mich dagegen wehrte. Angsterfüllt versuchte ich meine Arme nach oben zu reißen. Es gelang mir nur ein paar wenige Zentimeter. Gerade so, dass ich es sah – dieses wurzelähnlich Gebilde, welches durch den Stoff meiner Jacke drang. Die Wurzeln hielten mich irgendwie auf dem Boden fest. Oder kam dieses Gestrüpp aus meinem Arm und bahnte sich seinen Weg in die Erde hinein? Wie festgezurrt lag ich mit aufgerissenen Augen da… hilflos, verängstigt und verwirrt. Über mir verdunkelte sich langsam der Himmel. Die Anstrengung, ich weiß nicht mehr, wie lange ich mich wehrte, zerrte an meinen Kräften. Und so fiel ich in den Schlaf.

Erst Jahre später wachte ich wieder auf. Meinen Körper spürte ich längst nicht mehr. Zuerst öffnete ich das rechte Auge, um es gleich, geblendet von grellem Licht, wieder zu schliessen. Dann öffnete ich vorsichtig und behutsam das linke Auge. Schemenhaft konnte ich Umrisse erkennen. Was es war, erblickte ich erst, als ich es schaffte mit beiden Augen nach oben zu blicken.

Um mich herum waren Pflanzen in den Himmel gewachsen. Gar so, als wollten auch sie dort hinauf, um der Weite, der Unendlichkeit zu huldigen. Richtung Sonne, Richtung Licht. Aber auch sie wurden von der Erde festgehalten. Gar so wie ich. Oder waren wir es, die sich hilfesuchend in den Grund krallten?

Meine Knochen waren längst geborsten, durch den lange anhaltenden Druck meiner Wurzeln. Meine Muskeln haben sich aufgelöst. Ich war einfach nur noch hier. Und um mich herum diese Pflanzen. Der Himmel war blauer denn je und das Grün um mich strahlte förmlich, so voll gepumpt mit Chlorophyll.

Hier würde ich niemals mehr gefunden werden. Ich war da, wo ich hingehörte. Dort, wo alles beginnt und letztendlich auch alles endet. Staub zu Staub.

Eine Träne rann aus meinem Auge, bahnte sich schleichend ihren Weg entlang an meinen Wurzeln, hinein in die braune Erde. Die Feuchtigkeit fühlte sich gut an. So frisch, wie die kühle Brise, die gerade über das Feld wehte. Und über mir der blaue Himmel.

Oliver 2.0

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Fortsetzung hier!

17 Kommentare zu „Und über mir der blaue Himmel. Eine Fiktion (Teil 1).

  1. Ich konnte mich noch nicht entscheiden ob die Geschichte mehr bedrückend oder mehr beruhigend auf mich wirkt. Auf alle Fälle ist man beim Lesen „dabei“. Danke für diesen Spaziergang!

    Eines ist mir aber klar geworden: endlich… nach Jahren endlich… habe ich eine Erklärung dafür, weshalb hin und wieder benutzte Socken auf und an Feldern liegen. 🙂

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    1. 🙂 Du wirst jetzt lachen… Beim Spaziergang mit dem Franzosen neulich, entdeckte ich eine Socke auf einem Feld. Diese legte den Grundstein für meine Geschichte, weil man dies wirklich oft findet. Insofern danke ich Dir für Deinen Kommentar! Gut erkannt!
      Oliver 2.0

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  2. Deine Worte haben mich irgendwie berührt. Es ging mir wie fifteenfeet, die Worte waren auf der einen Seite total schön und auf der anderen Seite machten sie ein wenig traurig … Klasse!!!

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  3. Seltsam, nicht wahr, dass uns der Himmel immer unendliche Weite vermittelt … während es durchaus bedrohlich sein kann, in der Erde zu versinken oder mit ihr zu verschmelzen. Vielleicht weil der Himmel uns nicht auf Dauer zu halten vermag? Dieser windige leichtfüssige Geselle, der einem minütlich ein anderes Bild vorgaukeln kann …

    Ich traue mich übrigens nicht in Maisfelder … ich hab zuviel Stephen King gelesen. O_o huuuu

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  4. Sehr, sehr gut. Vielen Dank. Ja, Himmel. Ich, ein kleiner Junge noch, Sommertag, blauer, wolkenloser Himmel, riesig, universal, einer, hinter dem man das Weltall sieht. Ein Düsenjäger, russische MIG-21, kam heran, ziemlich tief. Der Pilot zündete plötzlich den Nachbrenner, die Maschine fauchte, donnerte, drehte sich in sanften Bogen in die Vertikale und flog kerzengerade Richtung Nirgendwo in diesen Himmel hinauf, bis ich sie aus den Augen verlor. Seitdem wollte ich Pilot werden. Bin zwar keiner geworden, aber da oben, ja, da oben irgendwo lebe ich – wie sicher auch Du.

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  5. Wow!!
    Das ist ja mal eine Explosion der Fantasie. Kompliment.

    Ich kann mich sehr gut hinein denken. Es muss überhaupt nicht beängstigend sein sich auf diese Weise dem Schoß von Mutter Erde anzuvertrauen. Muss ja (noch) nicht für immer sein.

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