Es war bereits spät abends und dunkel. Der kleine Ort lag in dichtem Nebel verhüllt. Jegliches Licht wurde darin verschluckt oder es löste sich auf, wie ein kleiner Schuss Milch in einer dunkelbraunen Kaffeebrühe.
Nur mit großer Mühe steuerte er seinen alten Chevy durch die Finsternis, darauf hoffend, die Kurven rechtzeitig zu erkennen. Angespannt über das große Lenkrad gebeugt, versuchte er in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Seine Augen waren schon müde von der Fahrt, genau wie sein alter Körper vom Leben.
Endlich erreichte er die kleine Stadt. Scheppernd brachte er den rostbraunen alten Chevy vor dem kleinen Kaufhaus zum Stehen. Es war das einzige Kaufhaus in der ganzen Umgebung. Dort gab es alles – Drogerieartikel, Schreibwaren, Getränke und Musik. Und genau wegen Musik hatte er die Mühen auf sich genommen. Seit Tagen hatte er ein Lied im Kopf, welches er oft in seiner Jugend hörte. Er hatte den Songtitel vergessen und auch die Band war ihm entfallen. Aber Joe, der Verkäufer in der Musikabteilung, wußte sicher zu helfen.
Kraftlos drückte er die Türe seines Wagens zu und müde betrat er das Kaufhaus. Er schlich an den gut duftenden Parfüms vorbei und schleppte sich die Treppe hinauf in den ersten Stock… dort hoffte er auf Hilfe.
Am oberen Treppenabsatz angekommen, beschlich ihn ein ungutes Gefühl… etwas stimmte nicht. Die Musikabteilung, sonst oft von Jugendlichen bevölkert und daher immer voller Leben… die ganze Abteilung war leer. Keine Menschenseele war zwischen den Regalen mit den Musik-CDs zu erkennen. Das Licht an der Decke flackerte und gab dem großen Raum zusätzlich eine gespenstische Note.
„Joe?“, rief er fragend in die leeren Gänge, bekam aber keine Antwort. Nachdem er sein Rufen so klar hörte, fiel ihm jetzt erst auf, dass auch keine Musik durch die Lautsprecher tönte… Totenstille. Er schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk: kurz vor Ladenschluss. „Naja, sind sicher schon alle heim…“ murmelte er in seinen Bart um sich selbst zu beruhigen, als er plötzlich auf dem Ärmel seiner Jacke eine Fliege entdeckte. Er erschrak. Eine fette, schwarze Fliege. Keine gewöhnliche Stubenfliege, sondern eine von der größeren Sorte – mattschwarz und irgendwie regungslos. Sie machte keinerlei Anstalten, nach ihrer Entdeckung zu flüchten. Wie festgeklebt saß sie da.
Er starrte sie erst eine Weile an, um dann reflexartig mit seiner anderen Hand über den Ärmel zu wischen… ohne Erfolg. Die Fliege blieb regungslos sitzen und starrte ihn nur mit ihren großen dunklen Facettenaugen an.
Er wußte nicht wieso, aber plötzlich kam ihm sein Auto-Unfall vor drei Jahren in den Sinn. Es war ein schrecklicher Unfall und eigentlich hätte er tot sein müssen. Aber wie durch ein Wunder sprang er dem Tod damals von der Schippe und überlebte. Noch heute dachte er sehr oft daran und meist mit gemischten Gefühlen… Kann man den Tod überhaupt austricksen? Oder rächt sich das irgendwann?
Komisch, dass er ausgerechnet jetzt, in diesem Moment daran dachte. Einen Moment lang glaubte er nun auch, einen fauligen Geruch wahrzunehmen. Diese Fliege – sie schaute ihn nur an. Was will sie ihm deuten? Völlig entsetzt über seine Gedanken und angewidert von diesem Insekt, haut er die Fliege, diesmal mit einem gezielten Schlag, von seinem Ärmel. Die landete nun, völlig überrumpelt, ein paar Meter weiter auf dem Boden und blieb auch dort regungslos liegen.
Ein Schauer fuhr ihm über den Rücken. „Nur weg hier“, dachte er sich. Mit riesigen Schritten ging er auf die Treppe zu, verfehlte dabei aber knapp den Absatz und stolperte. Fast wie in Zeitlupe, sah er den Treppenabgrund auf sich zukommen. Trotz seines Alters funktionierten aber in dieser Situation seine Reflexe. Mit einem festen Griff rettete er sich ans Geländer und fing seinen Sturz ab. Mühsam zog er sich wieder hoch und rannte, diesmal leicht humpelnd, weiter hinunter. „Es ist nur eine Fliege, es ist nur eine Fliege“, stammelte er dabei immer wieder mantrisch vor sich hin.
Im Erdgeschoss angekommen bog er gleich nach links zu den Parfüms. Der faulige Geruch hing nämlich immer noch in der Nase. Er griff zum nächstbesten Probier-Flacon und wollte sich damit den fauligen Geruch wegspritzen, als er plötzlich wie angesteinert in der Bewegung innehielt. Das Probierfläschchen entglitt ihm dabei aus der Hand und zersprang auf dem Marmorboden in hunderte kleine Stücke. Lavendelduft mit dem Hauch eines Moschusochsen vermischte sich mit den Luftmolekülen um ihn herum.
In seiner anderen, geballten Hand vibrierte etwas. Das hochfrequente Summen liess ihm alle Nackenhaare aufstehen. Ein Schauer nach dem anderen lief ihm über den Rücken. Nur langsam konnte er seine Hand öffnen… die Fliege. Ihm wurde übel. Wie ein Verrückter schüttelt er plötzlich seine Hand und erst nach heftigem Fuchteln fiel die Fliege abermals zu Boden. Diesmal sollte ihm der Vorbote des Todes aber nicht entkommen. Mit einem kraftvollen Schritt trat er sie platt. Nur einen Moment starrte er mit weit aufgerissenen Augen auf die Überbleibsel des Sechsbeiners, dann stürzte er wie ein Gejagter zur Türe hinaus.
Kurze Zeit später sah man einen alten Chevy mit quietschenden Reifen aus dem Ort rasen wo ihn nun der dichte Nebel verschluckte. Drinnen saß er… geschockt, außer Atem, gehetzt, verängstigt.
Und hinter ihm, auf der von zerrissenem Leder überzogenen Lehne, saß eine kleine schwarze Fliege. Nur eine Fliege.
Happy Halloween!
Oliver 2.0
🙂
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😉
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Welche tolle Grusel-Geschichte! Danke dafür….werde heute dieses Insekt, so vorhanden, mit anderen „Augen“ betrachten! 🙂
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Dankeschön! 🙂
Oliver 2.0
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Gruselig …
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Jaaaa…. 🙂
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Bleibt auch nach Halloween zeitlos schaurig. Echt gut geschrieben.
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🙂 Vielen Dank! Freu mich über Dein positives Feedback.
Oliver 2.0
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Manometer voll gruselig ….🎃😉🍂 Dir auch gruselige Halloween …, nur eine fette Fliege…😉
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Gruselig….aber echt super gut geschrieben.
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Mir läufst eiskalt den Rücken runter. Einige Krimi-/Gruselautoren werden sich bald warm anziehen müssen… Klasse geschrieben!!
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Ui, ein tolles Feedback! Danke dafür… das spornt an! 🙂
Oliver 2.0
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