Wortnacht.

Es ist 3 Uhr morgens, gefühlte 50 Grad. An Schlaf ist nicht zu denken. Zu sehr quält sich mein Körper durch die Nacht. Gerade so, als gäbe es etwas zu überwinden. Aber die Nacht nimmt kein Ende.

Ich streife die klebrige Bettdecke von meinem Körper und setze mich auf die Bettkante. Den Kopf zwischen den Schulterblätter hängend, warte ich so auf ein Ende der Hitze, auf ein Ende der Nacht.
Auf meiner Stirn bilden sich Wortperlen, die als Sätze an meinen Schläfen heruntertropfen. Irgendwas wird passieren…schreiben sie in kleinen Pfützen auf den aufgeschwemmten Linoleum.
Im Zimmer steht die Luft. Durch meine Buchstabenschweiß-verklebten Augen suche ich die Orientierung. Nur spärlich dringt das Nachtlicht durch zwei kleine Fenster in den kleinen Raum. Die Fenster, weit geöffnet, lassen keine Luft herein. Die steht nämlich draußen davor… ängstlich zitternd, schwül und verschwitzt. Stattdessen bilden zwei durchsichtige Vorhänge ein gespenstisches Bühnenbild, welches einem Kälteschauer über den Rücken jagen könnte. Aber es ist zu heiß dafür und selbst auf dem Rücken haben sich Wortfetzen gebildet welche das Laken unter mir langsam durchnässen.
Die Vorhänge stehen vor den Fenstern wie einbetoniert. Es bewegt sich nichts. Die Nachtluft – sie scheint es nicht mehr zu geben.
Ich blicke in die Dunkelheit hinaus. Durch die Vorhänge kann ich nur ein tiefes Schwarz entdecken. Kein Mondlicht am Himmel, keine Sterne. Es ist eine dieser Nächte, die nicht zum Träumen gedacht sind. Nächte wie diese überschläft man nicht. Sie dringen einem erst ins Hirn und wenn man Glück hat, ins Herz. Es ist eine Wortnacht.

Draußen braut sich unterdessen ein Gewitter zusammen. Durch kurze grelle Blitze wird das Kommen von Regen und frischer Luft angekündigt. Statt lautem Knallen, wird das Gewitter aber nur von einem sporadischen dumpfen Grollen bekleidet.
Die Vorhänge stehen immer noch still. Es scheint fast so, als würde die Nacht das aufziehende Wetter verschlingen um es später als noch mehr heiße Luft hervorwürgen und gegen die Häuserwände spucken, wie ein alter Landstreicher mit Raucherhusten.
Zusammen mit dem Gewitter schluckt die Nacht auch die Zeit mit hinunter. Diese vergeht nicht. Obwohl es so heiß ist verrinnt sie nicht. Wie klebrige Masse hat sie sich im Zimmer festgesaugt.
Ich wische die Worte von meiner Stirn weg. Neue Buchstaben bilden sich wie Tropfen und verschließen die Poren auf meiner Haut.
Ich stütze mich auf die Bettkante ab und drücke mich hoch. Mit morschen Gelenken schlürfe ich über das wellige Linoleum hinüber zum Fenster, schiebe die schweren Gardinen aus den Angeln zur Seite und blicke hinaus.
Da wird mir klar: die Wortnacht hat ihr Opfer geholt. Gewitter und Unwetter sind verschwunden. Einfach so… verschleppt und aufgefressen.
Enttäuscht von diesem unspektakulären Drama, schlürfe ich weiter ins Badezimmer. Ich greife einen Waschlappen und tränke ihn unter fließend kaltem Wasser. Nach vorn gebeugt drücke ich ihn mir aufs Gesicht um mir dann die Worte von der Stirn zu wischen. So zerrinnen sie im Abfluss während die Zeit und die Luft stillsteht.
Ich blicke noch kurz in den Spiegel und mustere meine sonnenverbrannte Haut, dann gehe ich wieder in das fiebrige Schlafzimmer, setze mich abermals auf die Bettkante und warte bis der Morgen graut und die Wortnacht endet.

Oliver 2.0

4 Kommentare zu „Wortnacht.

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