Frisch rasiert.

Gestern Abend stand ich im Badezimmer vor dem Spiegel und rasierte meinen Kopf. So ist das, wenn man wenige Haare hat und jeder Friseurbesuch mit Kanonen auf Spatzen geschossen wäre… man kürzt sein Haupthaar selbst.

Ich stehe also vor meinem Spiegel und halte den Kurzhaarschneider in der Hand, als plötzlich Erinnerungen in mir aufflammen. Erinnerungen, die an eben genau diesen Montagabend vor elf Jahren erinnern. Ja, es war ebenfalls Montag und es war abends, als ich den Krankenhauspfleger auf der Intensivstation darum bat, mich selbst rasieren zu dürfen.

Ich durfte. Nicht mein weniges Haupthaar – ich musste mich selbst am ganzen Körper rasieren. Die Krankenhausvorschrift verlangte dies so vor einer Herzoperation. Denn am nächsten Tag stand ich auf dem Plan: Bypass-OP. Das war dann am 2. August 2011… ebenfalls ein Dienstag.

Während mein Herz erst zum Stillstand gebracht wurde, um danach meinen Körper zu verlassen, stand auch ich still. Die ganze Welt stand für mich still. Um es genau zu sagen, hörte für mich die Erde bereits am 28. Juli 2011 auf zu drehen. Die Zeit zwischen Herzinfarkt und Herz-OP schwebte ich schwerelos zwischen All und Intensivstation, eingebettet in ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich bis hierhin überlebt hatte, und in ein Gefühl der Demut – ich würde mich meinem Schicksal hingeben – was auch immer es bringt. Ich schwor mir: würde ich wieder aufwachen, sollte sich die Welt für mich anders drehen… das war mein letzter Gedanke bevor ich auf eine Liege geschnallt wurde – die Arme links und rechts weit von mir gestreckt.

Ich bin wieder aufgewacht, viele Stunden später, noch nicht lebend aber auch nicht tot. Und so dauerte es auch eine ganze Weile, bis die Welt wieder begann sich zu drehen… anders… für mich. Ja ich weiß, man könnte meinen, die Welt da draussen dreht verrückt. Tut sie auch. Aber diese Welt meine ich nicht. Ich meine die kleine Welt um mich und in mir.

Es ist wie ein kleines Planetensystem – ohne Planeten, dafür mit ein paar wenigen Herzen – meine Frau, mein Sohn, meine Familie, Freunde und natürlich SPIKE. Diese kleine Welt pflege ich und schütze sie.

Anziehungskraft, Umlaufbahn, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Sternschnuppen, Herzen. Im Kleinen.

Nein, ich habe 2011 nicht vergessen. Es ist präsent – quasi jetzt zur gleichen Zeit… Quantensphäre.

Für alles da draussen, denen es ebenso ging oder die so oder ähnliches momentan durchmachen – und für überhaupt alle, die sich nach einer besseren Zeit sehnen: Passt auf Eure kleine Welt auf… und auf Euer Herz!

Oliver 2.0

Foto: Isabella Hacker

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