Ein Abschied.

Aus. Leer. Vor fast einem Jahr kaufte ich mir für teures Geld eine Narbensalbe. Heute früh nach dem Duschen war sie leer. Sie hat eine lange Zeit gehalten…schon komisch – ist irgendwie einem Abschied ähnlich.
Genau wie mein Optimismus. Ich fürchte, dass ich auch den aus dieser Tube heraus gequetscht hatte.

Nach meinem Herzinfarkt, nach meinem Beinahe-Tod wuchs ich über mich hinaus. Bei Null angefangen steigerte ich meine Leistungsfähigkeit beinahe täglich. Depressionen blieben aus, an Selbstmord habe ich nie gedacht. Das kommt bei manchen Operierten nach der Herz-Lungen-Maschine schonmal vor. Und nun?
Plötzlich fühle ich mich leer.
Zum erstenmal widern mich heute früh meine Tabletten an. Meine bunten Lebensretter, die ich jeden Montag aus der Verpackung drücke und in meinen Wochenbehälter sortiere – eine kleine runde weiße, eine ovale rosafarbene, eine weiße große mit Sollbruchstelle und eine große weiße in Zäpfchenform. Bis vor einem halben Jahr waren es 7 täglich, davor 9. Über 1.500 Tabletten habe ich seit knapp einem Jahr in mich reingestopft. Über 1.500!

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Ich blicke in den Spiegel. Die Narbe sieht gut aus. Sie wird aber immer da sein. Die Ausheilung ist nach einem Jahr abgeschlossen, sagten die Ärzte damals. Eine neue Narbensalbe benötige ich also nicht. Die alte Tube kann also endgültig in den Müll. Zusammen mit meiner Hoffnung, dass ich meine Hände wieder ganz spüre.
Jeweils in jeder Handhälfte habe ich ein Taubheitsgefühl.
Das ist ein Lagerungsschaden sagten sie. Kann bis zu nem Jahr dauern. Wenn es dann nicht besser ist, erholen sich die Nerven wohl nicht mehr. Ein Lagerungsschaden… Während der mehrstündigen OP wird man wie gekreuzigt auf den OP-Tisch gezurrt. Das kann schonmal Nerven abdrücken. Also werd ich mich von den beiden Handhälften auch verabschieden können.

Naja, es stört mich nicht groß, außer ich schreibe am Computer. Ich muss laufend korrigieren, da ich die Tastenanschläge in 4 Fingern nicht spüre.

Bald ist es ein Jahr her… Ich werde mich wieder aufraffen, mich gleich heute abend aufs Fahrrad schwingen und versuchen, den Gedanken, dass ich vor dem Tod davonfahre, verdrängen.

Ich sage mir: „Wenn man einen Herzinfarkt ohne Folgen überlebt hat, gibt es viel schlimmere Krankheiten! Und doch bleibt es immer irgendwie ein Kampf.“

Heute bin ich auf jeden Fall wieder auf hartem Boden gelandet. Vielleicht ist es gut so.

In diesem Sinne,

Oliver 2.0

2 Kommentare zu „Ein Abschied.

  1. Das alles ist ja keine Kleinigkeit: monate-, jahrelange Routine in dem, das am Anfang einmal sehr aufregend, anspornend, motivierend gewesen ist. Brecht nannte es „Die Mühen der Ebene.“

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